Veröffentlicht am April 14, 2022 von Franziska Kral
Die Kraft der Melancholie
Wie können wir Lebenskraft mithilfe melancholischer Zustände generieren?
Und inwiefern unterscheidet sich die Melancholie von der pathologischen Depression?
In diesem Blogeintrag möchte ich euch erklären, inwiefern wir Lebenskraft und Heilung durch melancholische Zustände erhalten und warum die Melancholie sich von der pathologischen Depression abhebt.
Der Herbst, zaghaft berührt unsere Hand das Fenster, leise perlen die Regentropfen das Glas hinunter, die Bäume verlieren von Tag zu Tag ihre Gold – orangenen Blätter, schwermütig beobachten wir die ersten kahlen Stellen der vorher so prächtig wirkenden Baumkronen. Melancholisch erinnern wir uns an die warmen Sonnenstrahlen auf unserer Haut, das laute Gelächter der Menschen auf den Straßen – das saftige Grün der Natur. Es scheint als würde uns der stetige Wechsel der Jahreszeiten, die Vergänglichkeit allen Lebens auf einem Silbertablett servieren zu wollen. Wir erkennen, dass Stillstand eine Illusion ist – warum sollte man an Menschen, Lebensumständen oder anderen Dingen festhalten, wenn doch alles vergänglich ist?
Der Blick auf die kahlen Bäume hält an, diese Augenblicke erscheinen zeitlos – bittersüß schmeckt die Erkenntnis, dass auch wir einem immerwährenden Wandel unterliegen. Nebenbei läuft ein altes Musikstück, dass uns zurück in die Jugendzeit versetzt – ach wie oft dachten wir bereits, die Liebe gefunden zu haben. Aber was bedeutet Liebe? Ist sie denn wirklich so einseitig, als dass sie sich nur auf ein Bezugsobjekt richten kann? Oder war es immer nur Begehren, die sehnsuchtsvolle Suche nach Vereinigung?
All diese Gedanken sind von großem Wert, wir halten inne – reflektieren über Vergangenes, und versuchen die Zwischentöne des Lebens wahrzunehmen. Der Psychologe und Philosoph Tobias Ballweg erklärt die Melancholie als Gegentypus zur Depression. Sie wäre weder krankhaft, noch therapiebedürftig. Während der Depressive meist einer permanenten Niedergeschlagenheit & Antriebslosigkeit ausgesetzt ist, die das Leben stark einschränken – bietet die Melancholie phasenweise Möglichkeiten, die eigene Kreativität – Sensibilität zu stärken und sich mit der eigenen Gefühlswelt auseinanderzusetzen. Sie bietet den Raum für Träumereien, neuen Erkenntnissen und den Mut, Traurigkeit zuzulassen.
Was wäre das Leben ohne die Vielfalt der Gefühlswelten? So sehr wir uns die Idylle wünschen, so schön und begehrenswert sie wirken mag – welche Entwicklungschancen würde sie uns in der menschlichen Erfahrung stehlen? Die Melancholie kann uns dabei unterstützen, Dinge gelassener hinzunehmen. Wir können sie sogar als eine Art Lebenshilfe betrachten, während die rosarote Brille nur Verdrängung und Verleugnung zulässt – können wir die Fähigkeit entwickeln, die äußere Wirklichkeit zu akzeptieren, näher zu betrachten und erkennen, dass wir die Welt nicht retten – lediglich auf unser näheres Umfeld einwirken können.
Vincent Van Gogh unterschied zwischen der tätigen und untätigen Melancholie: „Statt mich in Verzweiflung gehen zu lassen, habe ich mich für die tätige Melancholie entschieden, insofern Tätigkeit in meiner Macht stand – oder, mit anderen Worten, ich habe die Melancholie, die hofft und strebt und sucht, einer Melancholie vorgezogen, die trübsinnig und tatenlos verzweifelt.“ Ob er letztendlich mit der untätigen Melancholie die Depression meinte?
Während einige Menschen sich bereits mit dem Status Quo abgefunden haben, entdeckt der Melancholiker mithilfe seiner Feinfühligkeit die Schattenseiten der Welt. Ihn trägt die Sehnsucht zum Aufbruch in eine neue Welt, ein potentieller Weg in neue, unbekannte Reiche. Mithilfe seiner Fantasie und Gedankenwelt kann er eine ungeahnte Produktivität freisetzen, man schaue sich nur all die Künstler und ihre geheimnisvollen Werke über das Leben an – wer lässt sich nicht gerne in ihren Bann ziehen? Nietzsche schrieb in seinem Text An die Melancholie: „Verarge mir es nicht, Melancholie, dass ich die Feder, dich zu preisen, spitze.“
In der süßlichen Trauer entstehen nicht selten die großen Einfälle und Erkenntnisse, wir beginnen zu schreiben, zu malen oder wir musizieren.
Wo beginnt die Melancholie und wann die Depression?
Wenn die Melancholie chronisch wird und man sich unkontrolliert der dunklen Seligkeit hingibt, kreative Tätigkeiten nicht mehr ausführbar sind und man jeglichen Halt verliert, erscheint die Depression. Während man an melancholisch eingefärbten Tagen auf dem Bug eines Schiffes den unendlich wirkenden Horizont bestaunt – springt der Depressive vom Boot und hat Angst davor, in den Tiefen des Meeres zu ertrinken. Es kann eine schmale Gradwanderung sein, wie mit so vielen Dingen im Leben. Geben wir uns dem Wandel und Rhythmus des Lebens hin, so schwimmen wir mit dem Kopf über dem Wasser durch den Fluss der Möglichkeiten. Halten wir uns jedoch an einem Ufer der Schwermütigkeit fest – kann uns der Sog des Wassers in die Tiefe ziehen. Während die Welt im Außen verrückt zu spielen scheint, kann der Rückzug aus dem Chaos ein Mittel zur Krisenbewältigung darstellen. Wer das Schlechte in der Welt sieht, kann das Potential zur Verbesserung entdecken! Wichtig ist es hierbei nicht in der Schlechtigkeit zu verharren – sondern gestärkt daraus emporzusteigen und sich dann wieder der Vollkommenheit eines Baumes, der Schönheit eines Blattes und der Wertigkeit eines jeden einzelnen Momentes zu widmen.
Zu guter Letzt sollte erwähnt werden, dass auch die Depression einen wichtigen Sinn & Zweck im Leben erfüllt. Wir erkennen, dass unser Leben leer und trostlos erscheint und (dringend) notwendige Veränderungen benötigt. Alte Themen kommen zum Vorschein, alle Schutzmechanismen kommen zum Einsatz und die Leere hält Einzug in unser Leben - wir erkennen, dass wir Hilfe benötigen und die Zeit gekommen ist, alles bisherige in Frage zu stellen. Wir können die Depression für eine Transformation des Bewusstseins nutzen, dazu benötigt es allerdings den absoluten Willen und die Annahme von Hilfe. Auch wenn der Weg steinig und schwer erscheint, kann er uns in eine Zukunft führen - die uns soviel gerechter wird, als es unser bisheriges Leben getan hat.
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