Veröffentlicht am Februar 2, 2022 von Franziska Kral
Die Persona & ihr Schatten (Ken Wilber)
Wir alle tragen dunkle Schattenanteile in uns, oft werden diese negiert und in das Unterbewusstsein degradiert - zu sehr ängstigen wir uns vor der eigenen Dunkelheit. Unsere Persona (lat. für Maske, oder auch die durch die Maske dargestellte Rolle) wechselt je nach Lebensbereich ihre Maske, sei es im Berufsleben, in der Familie oder bei Freunden.
Hierzu möchte ich euch ein Blockzitat aus dem Buch "Vom Tier zu den Göttern" präsentieren. Ken Wilber ist ein amerikanischer Autor und gehört wohl zu den bekanntesten Bewusstseinsforschern/ Philosophen unserer Zeit. Er schreibt sowohl über den Bereich der Psychologie, als auch Philosophie, Mystik und der spirituellen Evolution.
"Die Persona und ihr Schatten - das Ich:
Beginnen wir dort, wo sich die meisten Menschen in der Falle befinden - auf der Ebene der Persona. Die Persona ist ein mehr oder weniger unrichtiges oder verarmtes Selbstbild. Es entsteht, wenn das Individuum versucht, vor sich selbst die Existenz bestimmter eigener Tendenzen wie Wut, Geltungsbedürfnis, erotische Impulse, Freude, Feindseligkeit, Mut, Aggression, Energie, Interesse usw. zu leugnen. Aber so sehr der Mensch auch versuchen mag, diese Tendenzen zu leugnen, sie verschwinden dadurch nicht. Da diese Tendenzen dem einzelnen gehören, kann er nur so tun, als gehörten sie jemand anderem, tatsächlich irgendeinem beliebigen Menschen, nur gerade ihm selber nicht. Es gelingt ihm so nicht wirklich, diese Tendenzen zu leugnen, sondern er kann nur leugnen, dass sie sein eigen sind.
Und schließlich glaubt er selbst, sie seien Nicht-Selbst, fremd, draußen. Er hat seine Grenzen verengt, um die unerwünschten Tendenzen auszuschließen. Diese entfremdeten Tendenzen werden deshalb als Schatten projiziert, und das Individuum identifiziert sich nur noch mit dem, was übriggeblieben ist: mit einem verengten, verarmten und unrichtigen Selbstbild, der Persona.
Die meisten Menschen haben einen sehr starken Widerstand dagegen zuzugeben, dass ihre projizierten Impulse und Eigenschaften ihre eigenen sind. Nirgends ist sein Wirken offenkundiger als bei der verbreitetsten Form der Projektion, der Hexenjagd. Die Hexenjagd beginnt, wenn jemand einen Zug oder eine Tendenz in sich aus den Augen verliert, die er als übel, satanisch, dämonisch oder zumindest als verächtlich beurteilt. In Wirklichkeit kann diese Tendenz oder dieser Zug das Unwichtigste von der Welt sein - ein wenig menschliche Perversität, Streitsucht oder Schuftigkeit. Wir haben alle eine dunkle Seite, einen kleinen schwarzen Kern, der, wenn wir ihn kennen und annehmen, zur Würze des Lebens beiträgt. Nach hebräischer Überlieferung hat Gott selbst von Anfang an diese unberechenbare, launische oder perverse Tendenz in alle Menschen hineingelegt, vermutlich, um die Menschheit daran zu hindern, an Langeweile zugrunde zu gehen.
Der Hexenjäger glaubt jedoch, er habe keinen kleinen schwarzen Kern. Er legt sich einen eigenartigen Anstrich von Rechtschaffenheit zu. Es ist nicht so, dass ihm der kleine schwarze Kern fehlt, wie er gern glauben und andere glauben machen möchte, sondern sein kleiner schwarzer Kern ist ihm höchst unbehaglich. Er leistet ihm im eigenen Inneren Widerstand, versucht, ihn zu leugnen und ihn hinauszuwerfen. Aber er bleibt sein und schreit hartnäckig nach Beachtung. Je mehr sein kleiner schwarzer Kern nach Aufmerksamkeit verlangt, desto mehr wächst sein Widerstand gegen ihn. Je mehr Widerstand er leistet, desto mehr Kraft wächst ihm zu, und umso mehr fordert der schwarze Kern seine Beachtung. Schließlich beginnt der Betroffene, weil er ihn nicht mehr leugnen kann, ihn zu sehen.
Aber er sieht ihn auf die einzige Weise, die ihm möglich ist- als etwas das anderen Menschen innewohnt. Er weiß, dass irgend jemand einen kleinen schwarzen Kern hat, aber da er selbst es einfach nicht sein kann, muss es jemand anders sein. Nun muss er nur noch diesen anderen finden, und das wird zu einer höchst wichtigen Aufgabe, denn wenn er niemanden finden kann, auf den er seinen Schatten projizieren kann, bleibt ihm nichts anderes übrig, als ihn selbst zu behalten. Hier sehen wir, wie der Widerstand seine entscheidende Rolle spielt. Denn genauso, wie der Mensch einst seinen eigenen Schatten mit ungezügelter Leidenschaft gehasst und ihm Widerstand geleistet hat und ihn mit jedem Mittel auszulöschen suchte, verachtet er nun, mit derselben Leidenschaft, jene, auf die er seinen eigenen Schatten projiziert.
Manchmal nehmen diese Hexenjagden entsetzliche Dimensionen an - so die Judenverfolgung bei den Nazis, die Hexenprozesse von Salem, die Verfolgung Schwarzer als Sündenböcke durch den Ku Klux Klan. Man beachte jedoch, dass in all solchen Fällen der Verfolger die Verfolgten gerade wegen jener Eigenschaften hasst, die er selber mit offenkundig unzivilisierter Heftigkeit an den Tag legt. Zu anderen Zeiten erscheint die Hexenjagd in weniger erschreckendem Ausmaß - z.B. in Form der während des Kalten Krieges verbreiteten Furcht, unter jedem Bett könnte sich ein Kommunist verborgen halten. Und oft äußert sie sich auch in komischer Form - als unaufhörlicher Klatsch über alle anderen Leute, der einem viel mehr über den Klatschsüchtigen sagt, als über das Objekt des Klatsches. Aber all diese Beispiele zeigen Individuen, die sich verzweifelt bemühen, zu beweisen, dass ihr eigener Schatten anderen gehört.
Die eigenen Projektionen zurücknehmen bedeutet einfach, eine Grenze beseitigen, Dinge als Eigentum aufzunehmen, von denen man dachte, sie seien etwas Fremdes, in sich selber Platz machen für ein Verstehen und Annehmen der eigenen vielfältigen Möglichkeiten, der negativen wie der positiven, der guten und der schlechten, der liebenswürdigen und der verächtlichen, und so ein relativ genaues Bild von dem zu entwickeln, was der eigene psycho-physische Organismus ist. Es bedeutet, die eigenen Grenzen zu verschieben, die eigene Seele neu zu kartographieren, so dass alte Feinde zu Verbündeten werden und insgeheim sich befehdende Gegensätze zu offenen Freunden werden. Am Ende werden Sie zwar vielleicht nicht alles an sich wünschenswert finden, aber vielleicht doch alles liebenswürdig." (S.30-33)
Stelle dir also folgende Fragen, um dir deiner verdrängten inneren Schattenanteile bewusst zu werden:
Wann verbreite ich Klatsch über Andere oder wann beteilige ich mich daran?
Welche Eigenschaften Anderer stören mich am meisten?
Welche Menschen verurteile ich und wofür?
Beteilige ich mich daran (bewusst oder unbewusst), dass eine bestimmte Gruppe von Menschen aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wird und warum?
Welche inneren Anteile von mir durfte ich in der Kindheit nicht ausleben und verurteile ich heute an anderen?
Wer den Mut hat, sich diese Fragen zu stellen und sich in unterbewusste Bereiche vorwagt - hat den ersten Schritt zur Annahme und Verständnis des vollständigen Selbst getan.
Literaturempfehlung:
Ken Wilber: Vom Tier zu den Göttern
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